Die letzten Tage in Tbilisi waren noch mal bezaubernd. Nicht nur habe ich mich sehr gefreut meinen Gastgeber wieder zu sehen und noch mehr Zeit mit ihm zu verbringen – auch der Rest der Gespräche und Erlebnisse in diesen letzten zwei Tagen war toll.
Samstag wollte ich eigentlich Souvenirs kaufen, aber auf Kitsch hatte ich keine Lust und mir wurde auch schnell klar, dass das was diesen Ausflug für mich aus- und so besonders gemacht hat, die vielen verschiedenen Menschen und ihre Geschichten waren. Und die kann ich nur probieren wieder zu geben und damit auch noch anderen Menschen zugänglich zu machen.
Die Mutter meines Gastgebers hat nie Lesen und Schreiben gelernt. Sie kommt aus einem kleinen Dorf und ihr Alltag ist mit der Versorgung des Haushalts und Fernsehen ausgefüllt. Als sein Vater und seine erste Frau feststellten, dass sie gemeinsam keine Kinder zeugen können, entschieden sie, dass sein Vater eine zweite Frau heiraten sollte. Er sagt, dass er oft sehr traurig sei, wenn er sich das Schicksal seiner Mutter bewusst macht, die ihr Leben lang nie mehr in Aussicht gestellt bekommen hat als irgendwann zu heiraten und den Haushalt zu führen. Die andere Frau seines Vaters sei ihm viel näher. Er und seine Schwestern haben alle studiert, er lebt ein Leben weit weg von seiner Familie und hat damit viel an Ansehen gewonnen. Seine Familie ist stolz auf ihn und gewehrt ihm deswegen auch viele Freiheiten, die in Indien nicht selbstverständlich sind. Dennoch ist dieses Leben zwischen zwei Welten auch nicht einfach für ihn. Alle denken, dass wenn er aus “Europa” zurück nach Indien kommt er viele Geschenke mitbringen sollte. Dass das Geld von dem er lebt, von seinem Vater, also aus der Familie kommt und nicht viel ist, macht für sie keinen Unterschied.
Auf einem Einführungsseminar für Freiwillige in Armenien wurde gesagt, dass es in Armenien drei Arten von Frauen gäbe: Jungfrauen, Mütter und Prostituierte. Andere Kategorien werden nicht zugelassen. Ich habe diese These mehreren Gesprächspartner_innen präsentiert und ich glaube alle hatten das Gefühl, dass das von der Mehrheit tatsächlich so gesehen wird.
Obwohl “Prostituierte” in Armenien sehr eindeutig angezogen seien, wurde Lus, die äußerlich sicherlich nicht damit in Verbindung zu bringen wäre, als Prostituierte verstanden, weil sie als Frau alleine eine Straße lang gegangen ist.
Dass Frauen in Armenien studieren ist normal, es wird als Teil der “Aussteuer” betrachtet, wenn die Frau gebildet ist. Trotzdem sollte eine Frau mit ca. 21 Jahren heiraten und sie sagt, dass viele ihrer Freundinnen von ihren Eltern förmlich aus dem Haus geschmissen und zur Heirat gezwungen werden. Weil es sich so gehört. Sie hat Glück. Ihre Eltern freuen sich, wenn sie zu Hause bleibt. Das liegt aber ihrer Meinung auch daran, dass ihr Vater nicht in Armenien groß geworden ist, viel von der Welt gesehen hat und somit nicht den “typisch armenischen Patriarch” darstellt.
Lusine, auch aus Armenien, die in Georgien studiert hat auch “Glück”. Ihre Eltern haben selber erst mit 30 Jahren geheiratet und machen ihr deswegen noch keinen Druck. Da sie nicht aus der Hauptstadt kam, musste sie schon zu Beginn ihres Studiums von zu Hause ausziehen und hatte so auch in Yerevan mehr Freiheiten als viele Kommiliton_innen. Wenn sie ihre Eltern zu Hause besucht muss sie um 18h zuhause sein. Gerade überlegt sie, sich für ein Freiwilliges Soziales Jahr in Westeuropa zu bewerben. Vor einem Jahr hätte sie sich das nicht getraut. Aber sie meint Georgien sei ein guter Zwischenschritt um die kulturellen Differenzen langsam zu überwinden. Tbilisi ist schon sehr international und damit eine gute Brücke. Mit vielen Austauschstudent_innen zu denen sie Kontakt hat und die sie darauf vorbereiten was sie an kulturellen Unterschieden zu erwarten hat.
Mamikon, von Pink Armenia, einer LGBT Organisation in Yerevan, erzählte wie schwer es sei in Armenien auf diesem Gebiet zu arbeiten. Über Sexualität wird in Armenien überhaupt nicht gesprochen. Wenn er in Schulen geht um u.a. Verständnis für Homosexuelle zu schaffen und einleitend sagt, dass alle Menschen eine sexuelle Orientierung haben kommt es schon vor, dass die Schüler denken sie seien damit alle krank.
Freitag Abend waren wir in einer Bar am Lisi Lake, ein See etwas oberhalb von Tbilisi. Eine der Sachen, die ich in Berlin am meisten vermisse sind die Leipziger Homoelektrik Parties die im Sommer irgendwo draußen, außerhalb der Stadt stattfinden. Und ich hätte sicher nicht erwartet so etwas in Georgien zu finden.
Sowohl in Georgien als auch Armenien habe ich mich mit Vertreter_innen lokaler LGBT Organisationen getroffen und Interviews gemacht, die ich demnächst an anderer Stelle verarbeiten werde und die sicherlich viel zu meinem Verständnis beider Länder beigetragen haben.
Paata, Vorsteher_in der LGBT Organisation in Tbilisi lud mich am Freitag Abend auf eben jene Party ein. Als wir am See und der direkt angrenzenden Bar ankamen sah es dort noch nicht wirklich nach Party sondern eher nach normalem Betrieb aus – da wir aber da waren genossen wir den Blick über den See. Nach und nach kamen immer mehr Leute und bald wurden draußen DJ-Pult und Lautsprecher aufgebaut. Elektronische Musik, die genauso auch in jeder anderen Hauptstadt, an ausgewählten Orten, gespielt werden würde und wahnsinnig viele sympathisch aussehende Menschen.
Ich unterhielt mich mit einem Journalisten, der gerade aus Gori, eine Stunde von Tbilisi entfernt und die Stadt in der Stalin geboren wurde, wiederkam, in der es ein großes Stalin Museum und bis letzte Woche auch noch eine riesige Stalin Statue gab. In einer Nacht- und Nebelaktion und ohne vorherige Ankündigung wurde dort in der Nacht von Donnerstag auf Freitag die Stalin Statue entfernt. Die Anwohner_innen konnten das erst überrascht am nächsten Morgen feststellen. Der Grund liegt wahrscheinlich im allgegenwärtigen Versuch der “Europäisieriung” in der es keine Stalin Verherrlichung geben sollte, dass das ganze dann aber so im Geheimen passiert lässt viele Möglichkeiten zur Interpretation.
Als ich Paata irgendwann an der Theke traf nahm er mich gleich an die Hand und setzte mich an einen Tisch mit Vertreter_innen georgischer, armenischer und azerbaijanischer LGBT Organisationen, die eigentlich Urlaub in Georgien machten – diesen aber bewusst gemeinsam nutzten um so auch an gemeinsamen Projekten arbeiten zu können. Ich hab mich gefreut endlich auch mal biologische Mädchen zu Treffen, weil die meisten Organisationen doch männlich geleitet sind und wenn auch sensibilisierte, so doch andere Sichtweisen zu präsentieren. Der Rahmen für mehr als Kontaktaustausch war an dem Abend zwar nicht gegeben, großartig war es trotzdem. Und nach einem relativ erfolglosen Versuch meinerseits am nächsten Tag noch mal Kontakt aufzunehmen, traf ich sie am Samstag zufällig in der Innenstadt und wir konnten uns für den Abend verabreden.
Das war dann auch das erste Mal während der ganzen Reise, dass ich wirklich über längere Zeit Russisch reden und verstehen musste, weil sich die Vertreter_innen der drei Länder untereinander auch so verständigten. Und ich wusste so endlich wieder warum ich Russisch lernen wollte. Um genau solche Situationen nicht verpassen zu müssen.
Das Interview mit einer der Azerbaijaner_innen war dann vielleicht auch das bezeichnendste. In Azerbaijan, dem einzigen muslimischen Land der Region ist die Situation für Homosexuelle sicherlich am schwierigsten. Und als wir uns in einer Kneipe in Tbilisi, auf neutralem Boden ein ganzes Stück entfernt von ihrer Heimat, über diesen Themenbereich unterhielten, war es ihr trotzdem nicht möglich Worte wie “gay”, “homosexuell” oder auch “heterosexuell” laut auszusprechen und alles passierte im Flüsterton mit Umschreibungen. Der Druck und die Angst sitzen so tief.
Auch wenn ich nicht lange bleiben konnte, weil ich in der Nacht noch nach Hause geflogen bin, wird der Kontakt mit diesen vielen tollen Menschen hoffentlich nicht abreißen und wir werden uns bemühen in Zukunft gemeinsame Projekte zu realisieren.