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Uzhgorod 2011 – Erste Eindrücke

Ich kann mich gar nicht mehr erinnern, wann ich genau aus der Ukraine zurück kam, aber die Zeit zwischendurch scheint wie ein Augenblinzeln vorbei gegangen zu sein. Gleichzeit habe ich viele Menschen die mir wichtig sind zwischendurch sehen können: Ostern mit der biologischen und nicht-biologischen Familie an der Ostsee, ein Wochenende mit Wahlverwandtschaft bei Hamburg, ein kurzer Besuch in Leipzig und in Berlin habe ich auch mindestens einen Abend/(Eis-)Essen mit fast allen Menschen verbracht, die mir wichtig sind. Dann gab es die großartige MOM- Party, das Wissen, dass unser Magazin und auch das Interesse daran stetig wächst und ganz bald hoffentlich etwas ganz tolles daraus wird. Es gab spannende neue Begegnungen, Image may be NSFW.
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auf deren Weiterentwicklung ich wahnsinnig gespannt bin und andere, die sich zu meiner Freude zu vertiefen scheinen.

Nach einem ziemlich schönen letzten Abend in Berlin, der das sich nähernde Chaos schon vorher ahnen ließ, ging es dann erneut los auf den aufregenden Weg in die zweite Heimat, die wohl immer fremd und vertraut zugleich bleiben wird. Da sich die Aschewolke aus Island, die drohte allen Flieger_innen einen Strich durch ihre Reisepläne zu machen, doch schneller verzogen hatte, als ich überlegt packen konnte, blieb mir nichts anderes übrig als nur die wenigen Sachen mit zu nehmen die in meinen ziemlich kleinen Koffer passten, der schon zur Hälfte mit Schlafsack und Isomatte ausgefüllt war.

In Budapest wusste niemand von meiner Ankunft (an die ich ja ein paar Stunden vorher selber noch nicht glaubte), aber Aliz war so nett mir trotzdem den Schlüssel für das RGDTS (Roma-Gadje Dialoge trough Service) Büro vorbei zu bringen, obwohl sie selber grade am packen für einen Besuch bei ihrer Familie in Rumänien war. In dem Büro arbeitet sie zusammen mit Dick, einem Pastor aus Amerika, Juli, einer Deutsch- und Geschichtslehrerin und Roma-Aktivistin aus Ungarn und im Moment Stefanie, einer Studentin aus Deutschland, die dort ein Praxissemester macht. Es liegt in einer geräumigen und hellen Budapester Altbauwohnung, mit tollen bepflanzten und gepflegten Innenhöfen und verfügt zu meiner Freude sowohl über Internet, als auch ein Bett, so dass ich dort die letzten Vorbereitungen für unser zweiwöchiges Summercamp in der Ukraine treffen konnte.

Die Fahrt nach Uzhgorod verlief gewohnt ruhig bis Záhony, der letzten Station in Ungarn. Ich hatte eine ältere Frau neben mir, die die meiste Zeit geschlafen hat, und so konnte ich schön schreiben…
In Záhony stand dann ein Mann neben der Bahn, der anbot mich für 55 Griven (ca. € 5) mit nach Uzhgorod zu nehmen. Die Chance mir die nervigen Bahnbeamten zu sparen und im Schritttempo über die Grenze zu tuckern war extrem verlockend. Außerdem kostet ein Taxi von der anderen Seite der Grenze bis nach Uzhgorod ca. 60 Griven und so saß ich in kürzester Zeit zusammen mit drei anderen Mitfahrer_innen bei ihm im Auto. Nicht nur, dass ich trotz relativ langem Warten mindestens eine Stunde früher bei Juliane, meiner Gastgeberin bis morgen, an kam, auch konnte ich mich gleich wieder über das Sprachenwirrwar freuen. Mit dem Fahrer wurde Ukrainisch gesprochen, wir Mitfahrer_inne haben uns auf Ungarisch unterhalten und als ich mit der letzten alleine im Auto saß ging es auf Englisch weiter.

Mit Juliane und einem neuen Freund von ihr ging es dann gleich in genau die Kneipe, in der ich auch meinen letzten Abend mit ihr verbracht hatte. Julianes Begleitung, ein junger Ukrainer der einige Jahre in Oklahoma verbracht hatte, meckerte in regelmäßigen Abständen über die Ukraine: Über die Stromkästen in Julianes Haus, beim Straße überqueren, in der Kneipe, über die Bedienungen, über ukrainisch/russische Popmusik, über die ukrainische Sprache und natürlich darüber wie schmutzig alles ist. Ich freute mich wahnsinnig über meinen “Berlin muss dreckig bleiben” Aufnäher, den ich ihm zeigte – und er hielt einen Moment inne und meinte: “So hab ich das noch nie gesehen. Das hat auch alles negative Aspekte, die gegenseitige Kontrolle, die es in Amerika gab, man kann dann wohl nicht mehr machen was man will, wenn alles geordnet ist…” Insgesamt wurde es eine ziemlich coole Nacht voller krasser Gespräche und ein Einstieg, der auf einen weiteren Aufenthalt voller positiver Überraschungen hoffen lässt.

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Heute war dann (wahrscheinlich in der ganzen Ukraine?) letzter Schultag und während ich in den letzten Jahren schon auf einigen ersten Schultagen nach dem Sommer war, war das meine erste öffentliche Schul-Abschluss-Zeremonie.
Wie diese Zeremonien zu Sowjetzeiten aussahen, weiß ich leider nicht aus eigener Erfahrung, aber ich denke es wird sich nicht viel verändert haben; die ganze Stadt ist voller Kinder in Anzügen oder Kostümchen, die Mädchen haben Zöpfe und riesige weiße Schleifen im Haar, viele tragen bunte Blumen und im Stadtzentrum läuft laute Musik. Da ich in der Roma Schule (14) war, war alles etwas anders, aber vom Ablauf wahrscheinlich auch nicht so sehr.
Zuerst wurden die 9.-Klässler geehrt, die nun offiziell die Schule beendet haben, dann gab es Auszeichnungen für besondere Leistungen einzelner Schüler_innen, zwischendurch wurden Gedichte aufgesagt und es gab unterschiedlichste Tanzeinlagen. Während die erste Tanzeinlage in Hochzeitskleidung stattfand und so etwas wie ein Standardtanz war, wurde danach ein Roma-Tanz vorgetragen. Auf mich wirkten beide ziemlich stockelig, was aber wohl der Aufregung zu Grunde liegt. Image may be NSFW.
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Ich fand das ganz schön, dass die “Zigeunerkinder”, für die man ja angeblich nur Musik anmachen müsse und schon würden sie los tanzen, in so einem Moment des Vorführens genauso wenig den Takt oder Schritt halten konnten wie die meisten anderen Kinder. Der wahrscheinlich pädagogisch gemeinte Ansatz: “Wir führen zuerst etwas vor um zu zeigen, dass die Kinder bei uns auch vernünftige Hochkulturtänze lernen und danach etwas, was ihnen Spaß macht” wurde dann schließlich dadurch ad absurdum geführt, dass als nach Abschluss der Zeremonie oben schon erwähnte ukrainisch/russische Popmusik losging auch die Party begann und niemand mehr Probleme hatte im Takt zu bleiben.

Die ganze Zeremonie hatte aber auch einen sehr negativen Beigeschmack. Nicht nur war es Julianes letzter Tag, nach einem Jahr in der Schule, auch bekamen sie gerade kurz vorher die Mitteilung, dass die Schule im nächsten Jahr nur noch vier statt neun Klassen haben soll. Das ist nicht das erste Mal, dass das mit einer Roma-Schule passiert. Vor einigen Jahren wurde auch in Szernye die Schule von neun auf vier Klassen umgestellt. Die Idee, die dahinter steht, ist die, dass die Kinder in den ersten vier Jahren so fit gemacht werden sollen, dass sie danach auf reguläre Schulen wechseln können. Der Ansatz ist sicher nicht schlecht, Segregation ist weit entfernt von einer vernünftigen Lösung, aber für die praktische Umsetzung wird leider nichts getan. Die Kinder können die öffentlichen Schulen vielfach nicht bezahlen, sie sind weiter weg und sie werden dort einfach, wenn nicht von den Lehrer_innen (was sicher auch sehr oft der Fall ist), dann doch zumindest von den meisten Schüler_innen so sehr diskriminiert, dass sie früher oder später abbrechen und damit die Grundlage dafür liefern, dass die Schulleitungen sie beim nächsten Mal gar nicht wieder aufnehmen, weil sie das ja sowieso nicht schaffen werden…
Wie immer bedarf es Arbeit mit der Mehrheitsbevölkerung und ich freue mich ein bisschen gerade eine Mail aus Deutschland bekommen zu haben, in der wir immerhin dort für einen Antiziganismus-Workshop für die Sozialpädagog_innen eingeladen wurden, die in den nächsten Jahren mit Roma und Nicht-Roma Freiwilligen arbeiten werden.

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PS: Eine Sache, die mir heute positiv aufgefallen ist, ist die Tatsache, das auf der Abschlussveranstaltung auch Eltern ausgezeichnet wurden: weil sie die Schule und Lehrer_innen unterstützen, den Kindern bei den Hausaufgaben helfen oder einfach, weil sie ihre Kinder so gut erzogen haben.


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