Das zweiwöchige Sommerlager in Uzhgorod, Transkarpatien, Ukraine fand dieses Jahr zum ersten Mal in Zusammenarbeit von ASF und Amaro Drom e.V. statt. Das vorbereitende Treffen und Kennenlernen mit dem lokalen Partner in Transkarpatien, Zita Batori-Tartsi vom TOUCH Programm, lag dem Beginn des Sommerlagers nicht einen ganzen Monat zuvor, so dass wir nicht so viel Werbung machen konnten, wie ich mir das gewünscht hätte und viele potentielle Teilnehmer_innen ob der Kurzfristigkeit, keine Möglichkeit hatten mitzufahren. Das wird im nächsten Jahr besser laufen.
Da weder Zita noch ich die Wochen vor dem Sommerlager in der Ukraine waren, begannen die konkreten Vorbereitungen dann auch erst drei Tage vor der Ankunft der Teilnehmer_innen vor Ort. Das war nicht schlimm, ich war vorher schon oft genug in der Ukraine und wusste aus Erfahrung, dass sich Dinge dort einen Tag vorher viel besser klären lassen, als drei Monate im Voraus. Und es klappt immer alles, wenn auch nicht immer so, wie man sich das denkt.
Unterkunft
Bei dem Vorbereitungstreffen hatte ich mir bereits ein Heim angesehen, in das Mädchen aufgenommen werden, die nach dem Erreichen der Volljährigkeit nicht mehr in den staatlichen Heimen bleiben können. Hier lernen sie, wie man einen Haushalt führt, den Garten bewirtschaftet und bekommen weiterführende Schulbildung. Im Vergleich zu den staatlichen Heimen wirkt dieser umgebaute Bauernhof wie das Paradies auf Erden und mir gefiel die Idee, dieses Projekt durch unseren Aufenthalt dort zu unterstützen. Gleichzeitig wollte die Heimleiterin eine sehr hohe Summe an Geld dafür, dass wir auf Matratzen in uneingerichteten Zimmern schlafen und die öffentliche Verkehrsverbindung in das Dorf (Pavlovo ca. 30km von Uzhgorod) sehr begrenzt ist, was zusätzliche Kosten und Zeit bedeutete, um zu unseren Einsatzstellen zu kommen.
Ich hatte mir während der Vorbereitungszeit Gedanken über Alternativen gemacht, aber ich traf gleich zu meiner Ankunft in Uzhgorod eins der Mädchen, die dort wohnten, und als sie mir begeistert erzählte, dass schon alles vorbereitet sei und sie sich sehr auf unsere Ankunft freuten, gab es für’s erste kein zurück mehr.
Und: die Kinder freuten sich auch wirklich über uns. So sehr, dass sie uns keinen Schritt alleine machen ließen.
Abstecher: Über das ukrainische Sozialsystem könnte man wahrscheinlich Bände schreiben, aber da ich das meiste nur vom hören kenne, hier nur zwei kurze Einblicke:
Viele Eltern lassen ihre Kinder nach der Geburt im Krankenhaus, weil sie kein Geld haben ein weiteres Kind zu ernähren. Der soziale Bereich, alles was Pflege, Lehre, Ausbildung, etc. angeht ist extrem unterbezahlt. Das führt dazu, dass die meisten Kinder in solchen Einrichtungen den ganzen Tag im Bett bleiben, nicht gefördert werden und deswegen auch keine sozialen Kompetenzen entwickeln, die ihnen ein gleichberechtigtes, selbständiges Leben ermöglichen. Von der Reformierten Kirche wurde vor über zehn Jahren ein Heim gebaut, dass diese Kinder mit Behinderungen aufnimmt, die in den Krankenhäusern sonst unter schlimmsten Verhältnissen vor sich hin vegetieren müssten.
In den letzten Jahren wurde vom Staat, der um seine begrenzten Mittel weiß, ein Programm initiiert, dass es Familien ermöglicht Kinder aufzunehmen und den Familien dafür die Kosten für Strom und Gas erlassen werden. Wahrscheinlich bekommen sie auch noch etwas Geld dazu, aber es scheint immer noch günstiger für den Staat zu sein, als die maroden Krankenhäuser und Heime in Stand zu setzen und die Betreuer_innen besser zu bezahlen oder mehr von ihnen einzustellen. Die Geburtenrate bei den meisten Ukrainer_innen ist ist sehr gering, viele Familien, zumindest die gut gebildeten, haben nur ein Kind, weil sie diesem auch eine gute Ausbildung ermöglichen wollen. Es kann durchaus sein, dass das Interesse an den Heimkindern wächst und solche Programme unterstützt werden, um dem Schrumpfen der ukrainischen Bevölkerung entgegen zu wirken.
Und das ganze weckt, wenn man es überträgt, erschreckende Züge: so wie Maria Theresia damals vielen Roma-Familien ihre Kinder wegnahm und sie in ungarische Familien gab, um aus ihnen gute Bauern zu machen, wird den Kindern hier auch vermittelt, dass ihre Roma-Eltern sie weggeben und sich nicht um sie gekümmert haben und Roma darum pauschal schlecht seien. In den Heimen, oder neuen Familien, werden sie von klein auf an mit den gleichen rassistischen Stereotypen aufgezogen wie die Mehrheitsbevölkerung. Dass das Problem ein gesellschaftlich wirtschaftliches und kein ethnisch kulturelles ist, wird nicht in Erwägung gezogen und den Teufelskreis zu durchbrechen ist so schwer.
Wenn du auf dem Land lebst und keine Möglichkeit hast ein gesichertes Einkommen zu erlangen und die einzige regelmäßige Geldquelle ein Kindergeld ist, dass du bis zum 5. Lebensjahr deines Kindes erhältst, würdest du dann nicht auch probieren ungefähr in diesem Rhytmus Kinder zu bekommen, um wenigstens irgend etwas zum überleben zu haben?
Gleichzeitig reicht das Geld auch für nicht mehr als das bloße überleben und du hast keine Möglichkeit davon auch noch eine Ausbildung geschweige denn eine regelmäßige Ernährung, Arztbesuche, etc. für deine Kinder zu finanzieren.
Als ich mich Abends mit einem jungen Ukrainer unterhielt, meinte er, dass 90% aller Roma schlecht seien. Ich ärger mich hier immer sehr über meine verbale Eingeschränktheit in Transkarpatisch zu kommunizieren, aber immerhin kamen wir immerhin irgendwann zu dem Punkt, dass er zugab, dass Roma-Kinder schon in Ordnung seien, aber die Erwachsenen halt nicht. Das ist nicht viel, aber damit kann man wenigstens einigermaßen darauf aufmerksam machen, dass die Diskriminierung durch die Mehrheitsbevölkerung zu dem beiträgt, wie sich einige erwachsene Roma verhalten.
Eine Freiwillige aus Uzhgorod erzählte, dass ein_e Ukrainer_in zu ihr meinte, dass die Roma alles schmutzig machen würden. Sie meinte darauf, dass das das absurdeste sei, was sie je gehört hätte. Alle Straßenkehrer_innen und Menschen die bei der Müllabfuhr arbeiten sind Roma. Wie würde denn die Stadt aussehen, wenn sie nicht alles sauber machen würden?
Auf meiner Fahrt nach Szernye einen Tag zuvor, wurde die Situation und der Aufbruch, den die Ukraine anstrebt auf zwei Plakaten an der Landstraße sehr anschaulich dargestellt: Zuerst gab es ein Bild von einem Fetus, das die Hände zusammenhielt als würde es beten/bitten, mit der großen Überschrift: “Mama, treib mich nicht ab!” Darauf folgte ein Plakat auf dem eine junge Familie zu sehen war, deren blonde Haare im Wind wehten, eine reiche Agrikultur angedeutet wurde und große, moderne neue Häuser abgebildet waren. Die Aufschrift lautete in etwa: Das ist unsere Zukunft, Ukraine!
Ergänzung: Ich habe in den letzten zwei Wochen das erste mal ein öffentliches Heim in Transkarpatien besucht und es war sicherlich der härteste Tag während meines Aufenthalts dort. Ich wollte seit Anfang des Jahres in dieses Heim, weil ein Junge, der gerade in Berlin ein Freiwilliges Soziales Jahr macht von dort kommt und einfach fantastisch ist. Nach allen Berichten die ich vorher über ukrainische Heime gehört hatte war ich beeindruckt, wie jemand so selbstsicher, sozial kompetent und offen aus einem ukrainischen Heim heraus kommen kann und dachte, dass dies sicherlich auch einiges mit den Umständen in diesem Heim zu tun hätte. Dort angekommen wurde dieses Bild sofort zerschlagen. Hinter einem hohen Zaun erwarteten uns Kinder, die nicht nur körperlich deformiert und schmutzig waren, sondern kaum Möglichkeiten hatten sozial zu interagieren. Sie kamen an, fassten uns an, am ganzen Körper, im Gesicht und das ohne Unterbrechung. Wir bekamen eine Tour und ich hatte an jeder Hand ein Kind, drei, die an meinen Armen hingen und eine die mir ohne Unterlass durch die Haare ging. Einer von ihnen konnte gut Deutsch, was er dort gelernt hatte. Alle waren aufgeschlossen, interessiert und haben alles aufgesogen was sie konnten. Ich war noch nie an einem Ort, an dem es so an Liebe gemangelt hat. In den Zimmern gab es nichts persönliches. Jedes Kind hat ein altes Bett mit der gleichen Bettwäsche. Auch wenn die Kinder alle da waren, an einem dran hingen, war es so schwer Kontakt aufzubauen. Sie waren ununterbrochen in Bewegung, mit zwei Kindern habe ich es für einen kurzen Moment hinbekommen Augenkontakt aufzubauen, oder durch Handdrücken Kommunikation festzustellen, ansonsten haben sie einfach nur probiert alles aus einem rauszuziehen. So schlimm.
Wenn man danach wieder zurück in unser Heim für Mädchen nach Pavlovo kommt, kann man die Ruhe und den Abstand den die Leute dort von uns gehalten haben wohl erst zu schätzen wissen. Und vor allem die Chance die sich für die Mädchen aus dieser Ruhe und dem geschützten Umfeld ergibt. Trotzdem konnten wir uns dort nicht richtig wohl fühlen. Die Probleme die wir mit unserer Unterkunft hatten, oder das Problem, das sie mit uns hatten war in erster Linie ein religiöses. Sie alle gehören einer Freikirche an (die Kirche des lebenden Gottes) und Alkohol und Zigaretten und Drogen jeder Art waren absolutes Tabu. So wurde das Bier, das wir am ersten Tag neben unserem Abendbrot eingekauft hatten mit Entsetzen begutachtet und uns mitgeteilt, wie schlecht das sei und, dass man so etwas nicht trinken dürfe.
Als wir am zweiten Abend nach Hause kamen, wurden ich von einer Betreuerin zur Seite genommen und in ihr Zimmer geführt. Dort wurde mir erklärt, dass sie Christen seien und Bier und Zigaretten deshalb auf keinen Fall erlaubt seien. Ich erwiederte, dass das kein Problem sei und wir uns gerne dafür vom Grundstück bewegen. Aber, das reichte ihr nicht. Dafür müssten wir schon das Dorf verlasen und in die Stadt gehen.
Abstecher: Am Tag davor saß ich abends mit Juliane und einigen amerikanischen Freiwilligen in einer Kneipe und alle haben viel rumgealbert. Immer wieder fiel durch einen von ihnen das Wort gay in einer scherzhaften, abwertenden Art und Weise und mir wurde von mal zu mal unwohler am Tisch. Was sag ich denn jetzt ohne als Spaßverderber_in da zu stehen? Ich bin irgendwann gegangen und habe dann am nächsten Tag langsam angefangen mit ihm zu reden. Erst sagte ich, dass ich überlege zum Pride nach Istanbul zu fahren, später zeigte ich ihm Fotos von der MOM Party. Ich habe wirklich keine Lust auf: “Hey, du verletzt mich, wenn du so redest!”-Gespräche, sondern möchte viel mehr erreichen, dass die Leute nicht automatisch von einer heterosexuellen Mehrheit ausgehen.
Natürlich ist es auf den ersten Blick mein Problem, wenn ich mich von ihrem Spaß angegriffen fühle. Wenn ich das direkt anspreche, habe ich aber das Gefühl, dass sie das genau so sehen. “Oh, sie hat ein Problem damit, dann ändere ich mein Verhalten ihr gegenüber.” Aber es geht ja nicht nur um mich. Und wenn er durch verschiedene Themen, die ich anspreche selber darauf kommt, dass sein witzeln vielleicht nicht immer auf Zustimmung trifft, habe ich die Hoffnung, dass er bei der nächsten neuen Person vielleicht auch erstmal nachfragt und nicht ins selbstverständliche Sprüche klopfen verfällt.
Ich habe wirklich einfach das Gefühl, dass ich zu alt bin um mich zu verstecken, oder mich in solchen Momenten unwohl zu fühlen. Ganz besonders gegenüber Menschen aus der westlichen Welt. Und genauso viel zu alt fühlte ich mich dann auch an jenem zweiten Abend in unserer Unterkunft in Pavlovo. Nach dem Gespräch mit der Betreuerin, als wir gemeinsam beim Abendessen saßen, wurde ich vor allen rausgerufen und mir wurde das Bier, als Schandfleck in eine Plastiktüte gehüllt, übergeben, damit ich es entsorgen? verstecken? austrinken? konnte. Der Kontext, dass viele Kinder aus Familien kommen, in dem die Eltern Drogen genommen haben und die Tatsache, dass die Finanzierung inkl. Ideologie von einer amerikanischen Freikirche kommt, erklärt das natürlich und wäre die Unterkunft günstig gewesen und wir hätten es nicht weit in die Stadt gehabt, wäre das auch alles kein Problem gewesen. Da wir aber fast so viel wie in einem Hotel zahlen mussten und keine Möglichkeit hatten uns abends woanders aufzuhalten, beschlossen wir einvernehmlich die erste Woche dort zu verbringen, über das Wochenende einen Ausflug nach Lviv/Lvov/Lemberg zu machen und uns in der zweiten Woche eine Unterkunft in der Stadt zu suchen.
Lviv/Lvov/Lemberg
Der Wochenendausflug bot nicht nur einen guten Bruch für die Unterbringung, sondern er war glaube ich auch für die Teilnehmer_innen eine Bereicherung, da sie alle vorher noch nie in der Ukraine waren. Uzhgorod ist eine süße kleine Stadt, die von wahnsinnig viel Geschichte, sich oft verändernden Grenzen und einer multikulturellen Gesellschaft geprägt ist. Lemberg hingegen ist, trotz der ebenfalls sehr bewegten Geschichte, inzwischen eine wahnsinnig ukrainische Stadt geworden. Für mich fällt das besonders dadurch auf, dass mein transkarpatisches Kauderwelsch, was mir ziemlich ukrainisch vorkommt, dort von niemandem verstanden wird. In Lviv fand gerade ein Jazzfestival statt, es war wahnsinnig heiß und nach einer kurzen Nacht im Zug, haben wir wohl die meiste Zeit in Cafés, Bars oder eben auf jenem Jazzfestival verbracht und konnten doch auch einen gewissen Eindruck von einer Stadt gewinnen, die sich in den letzten fünf Jahren von marode und charming zu einer poshen Touristenatraktion voller Hochzeitspaare gewandelt hatte.
Abstecher: Erst nach unserer Ankunft in Lviv am Samstag Morgen fiel mir ein, dass auf dem Ladyfest Leipzig eine Vertreter_in von einer Gruppe namens “Gender Lviv” einen Vortrag halten sollte. Auf Grund von Visa-Problemen konnte sie nicht kommen, aber ich freute mich sehr, dass zwei von der Gruppe nun vor Ort spontan Zeit fanden sich mit mir zu treffen. Gender Lviv entstand zusammen mit Leuten aus Polen und sie organisieren jedes Jahr unterschiedliche Veranstaltungen. Während es in den letzten Jahren Demonstrationen gab, die nie wirklich weit kamen (dafür gibt es in Lviv viele gut besuchte Demonstrationen und Veranstaltungen gegen Homosexualität), haben sie sich im letzten Jahr für ein Festival, mit Filmen und Ausstellungen entschieden. Eigentlich wollten sie auch Bands einladen, aber die zwei Bands mit weiblicher Besetzung wollten nicht spielen, weil sie sich nicht als feministisch definierten. Diese negative Resonanz, die alles erfährt, was sich kritisch mit Heteronormativität auseinandersetzt, führte auch dazu, dass sie “Gender” für ihren Namen wählten und nicht “Queer”. Erstmal mit kleinen Schritten anfangen… Aber es war toll zu sehen, dass es, wenn auch in geringer Zahl, dennoch starke, aktive Menschen gibt, die mit den gängigen Geschlechterrollen brechen und sich nicht verstecken wollen, die nach ihren Möglichkeiten Veranstaltungen organisieren, sich transnational vernetzen und ihre Interessen auch nach und nach durch die Auswahl der Themen ihrer Hausarbeiten (z.B. “Die Darstellung von Frauen in ukrainischen Medien”) in den Uni- und Wissenschaftsalltag einfließen lassen.
Das Projekt
Nach sechs heißen Stunden in der vollen Bahn, in dem einer unserer Teilnehmer_innen sogar noch zum Lebensretter wurde, bezogen wir erschöpft unsere neue Unterkunft in Uzhgorod. Das Romani Yag Hotel und Restaurant wurde 2008 eröffnet und gehört Aladar Adam, einen der 16 (?) Roma-NGO Leiter_innen aus Uzhgorod. Seine gleichnamige NGO hat unter anderem über Jahre hinweg eine ukraineweite Zeitung von und für Roma herausgegeben, Magazine für Kinder und Frauen, sowie einige Bücher veröffentlicht (u.a. zum Roma-Holocaust, ein Schulbuch mit Unterrichtseinheiten zu Geschichte und Kultur, ein Ukrainisch-Romanes Wörterbuch,…). Neben einer Existenzsicherung war vor allem das Restaurant auch dafür gedacht Berührungsängste abzubauen, Roma Kultur und gutes Essen zu verbinden und der Mehrheitsbevölkerung einen Zugang zu eröffnen. Meiner Erfahrung nach wurde es von vielen Ukrainer_innen viel mehr dazu genutzt, um sich daneben zu benehmen, aber vielleicht machen die das auch in allen anderen Lokalen in denen es Alkohol gibt, nur das ich dort nicht so oft dabei war. Das Geschäft läuft seit der Krise sehr schlecht, es kommen kaum noch Touristen nach Transkarpatien und auch Feiern werden öfter zu Hause als in Restaurants gefeiert.
Abstecher: Dennoch hört Aladar, der inzwischen auch nicht mehr der Jüngste ist, nicht auf Ideen zu entwickeln und sich Wege zu überlegen seine Umwelt positiv zu verändern. Er besitzt noch ein großes Grundstück in Schachta, einem der zwei Viertel Uzhgorod’s die eine sehr hohe Roma Population haben, aus dem er gerne ein Altenheim machen möchte. Viele der Roma gehören inzwischen Freikirchen an, die auf Grund eines viel niedrigschwelligeren Zugangs als die traditionellen Kirchen, auch Roma die Möglichkeit geben als Pastoren zu fungieren. Auch das Altenheim könnte mit so einer Kirche in Verbindung stehen. Und, da es natürlich an mir ist, die Mittel dafür zu besorgen, halte ich das auch für eine realistischeren Ansatz, als zu probieren Gelder durch offizielle Ausschreibungen dafür zu erhalten.
Unser eigentliches Projekt für das Sommerlager fand an zwei Roma-Schulen in Uzhgorod statt. Zita und das TOUCH Projekt haben bereits in den letzten Jahren in den ersten zwei Wochen der Sommerferien Sommerlager dort und im oben schon erwähntem Kinderheim durchgeführt. Der Ansatz ist, dass ihre Student_innen, dort praktische Erfahrungen zu ihrem Sozialpädagogik Studium sammeln können und die teilnehmenden Kinder eine schöne Zeit haben, in der sie spielen, toben, malen, basteln und Englisch lernen können. Unsere Aufgabe war es zum einen die Student_innen in ihrem Aufgabenbereich zu unterstützen, vor allem aber auch praktische Arbeit zu leisten, indem wir die Schulen streichen, um sie so etwas zu verschönern und persönlicher zu gestalten.
Unser ideeller Ansatz (wir zeigen durch körperlichen Einsatz, dass uns die Leute dort nicht egal sind) kam bei den Lehrer_innen nicht so wahnsinnig gut an. Sie sahen oder hofften vor allem auf Geld. Mehr als einmal kamen Fragen wie: “Wollt ihr uns nicht lieber das Geld geben, wir kaufen neue Türen und ihr macht euch eine schöne Zeit?” Auch die Umsetzung unserer kreativen Ideen war nicht so einfach wie wir uns das erhofft hatten. Die Farben, die die Lehrer_innen als annehmbar erachteten (an der 13. Schule, an der ich mitarbeitete, entschlossen wir uns eins der beiden Schulgebäude zu streichen) entbehrten sich für uns jeglicher Logik und so entschlossen wir uns, das Gebäude weiß zu streichen und die fensterähnlichen Absätze, die es in der Fassade gab, gemeinsam mit den Kindern zu bemalen.
Die Einreise in die Ukraine verlief für alle Teilnehmer_innen relativ chaotisch. Es gibt einfachere Sachen, als in die Ukraine einzureisen, egal ob man mit der Bahn, dem Auto oder dem Bus ankommt. Es werden einem Fragen gestellt die man nicht versteht und allgemein passieren Dinge, von denen man einfach nicht denkt, dass sie möglich wären. Nachdem dann trotzdem alle angekommen waren (natürlich gab es in unserer Unterkunft auch keinen Handy-Empfang, so dass das ganze noch mal komplizierter wurde…) haben wir uns zusammengesetzt um einen gemeinsamen Plan zu entwickeln. Eigentlich hatte ich eine Art Ralley vorbereitet, mit Fragen zu verschiedenen Themen, persönlichen Einschätzungen, geographischen oder politischen Informationen. Ich finde so etwas ist als Einstieg immer gut, zum einen für die Teilnehmer_innen, um einen Eindruck von der lokalen Bevölkerung und der Region zu bekommen, zum anderen aber auch für die lokale Bevölkerung, weil sie dadurch auch in Erfahrung bringt warum wir da sind und nicht über die komischen Ausländer_innen spekulieren muss. Leider kam die Idee bei den Teilnehmer_innen nicht so gut an, ich fühlte mich nicht in der Position sie zu irgendwas zu überreden, was sie nicht wollten und, da die zweite Teamerin nicht auftauchte, die auch hätte übersetzen oder Verantwortung übernehmen können, verlief dieser Versuch irgendwie im Sande.
Und das ist leider etwas, was sich durch die ganzen zwei Wochen zieht. Eigentlich war es klar, dass wir nach der Arbeit in den Schulen Nachmittags und Abends auch noch thematisch arbeiten wollten. Sowohl in unserer Gruppe, als auch gemeinsam mit den ukrainischen Student_innen. Im Endeffekt gab es eine Diskussion zu Diskriminierung in einer der Schulen, die wohl auch gut war, aber irgendwie hätte ich mir mehr gewünscht. Aber: wenn man stundenlang in der prallen Sonne und in wirklich schlimmer Hitze Hauswände streicht, Kinder um sich hat, die man entweder anleiten oder die Pinsel vor ihnen verstecken muss, ist man danach nur noch schwer in der Lage etwas vernünftiges zu organisieren. Hätte ich die Verantwortung nicht alleine gehabt, wären wir mehr Leute gewesen, die an den Schulen hätten arbeiten können, wäre das sicher anders gewesen. So hat mir einfach die Kraft gefehlt, nicht nur Sessions vorzubereiten, sondern vor allem die Leute zu motivieren. Das heißt aber nicht, dass keine thematische Auseinandersetzung stattgefunden hat! Dafür sind Themen wie Ausgrenzung, Diskriminierung, Ungleichheit, Arbeitslosigkeit und Sowjet-Vergangenheit einfach zu offensichtlich in jedem Schritt den man dort macht. Und auch wenn es im informellen Rahmen ablief, habe ich mich dennoch bemüht, so gut es ging Fragen zu beantworten, zum Hinterfragen anzuregen und zu vermitteln, dass jede_r die Macht hat einzugreifen und was zu verändern und kritische Auseinandersetzung immer zuerst bei einem selbst anfangen sollte.
Und ich muss sagen, dass die Teilnehmer_innen ALLE furchtbar interessiert, aufgeschlossen, unkompliziert, kritisch, selbstständig, engagiert und wirklich ziemlich beeindruckend waren. Das hat mich wahnsinnig gefreut.
Und ich glaube sagen zu können, dass die Arbeit an den zwei Schulen wirklich allen Spaß gemacht hat. Die Kinder waren toll und haben teilweise über Stunden und Tage konzentriert beim Arbeiten geholfen, Fensterrahmen lackiert, Türen gestrichen und fast alle haben sich an der kreativen Gestaltung beteiligt. Nachmittags waren wir mit den Kindern am See, wo immer wir lang gingen kamen ab und an Kinder die unseren Namen riefen oder uns in die Arme liefen und es war einfach eine furchtbar positive Grundstimmung.
Neben dem Ausflug nach Lviv, haben wir auch einen Abend bei meiner ehemaligen Gastfamilie verbracht und dort gemeinsam gegessen und einen Tagesausflug nach Szernye gemacht, wo wir gemeinsam gekocht haben und auch noch mal einen Einblick in das Leben auf dem Dorf gewinnen konnten. Es gab eine historische Stadtführung, mehrere Einführungen in die lokale Küche und eine_r der Teilnehmer_innen hat sogar überlegt gleich noch ein ganzes Jahr dort zu bleiben.