Alleine zu reisen ist immer wieder aufregend und gerade, wenn das mit vielen neuen Menschen und besonderen Aufgaben oder Themen verbunden ist niemals umsonst. Den Moment des Abfahrens macht das trotzdem nicht leichter. Zum einen ist es immer komisch die gewohnte Umgebung und mit ihr verbundene Rituale, Verantwortungen und Geliebtes zurück zu lassen, zum anderen gibt es die große Ungewissheit davon was einen erwartet und auch was von einem selbst erwartet wird. Aber das beste ist, sich mit der Möglichkeit des Bruchs konfrontieren zu können, sich selbst zu sammeln, aus dem Trott auszubrechen und gestärkt zurück zu kommen.
Interessanterweise scheint es mir einfacher in weiter entfernte Regionen zu reisen als in nahe gelegene. Sind die Leute außerhalb des deutschen Sprachraumes freundlicher? Hängt es damit zusammen, dass ich nicht alles um mich herum verstehe? Sind die Menschen hilfsbereiter weil sie sehen, dass ich offensichtlich fremd bin (und vielleicht Geld für sie aus mir herausspringt)? Schäme ich mich, weil ich nicht alles verstehe, obwohl um mich herum doch nur eine Variation meiner Muttersprache gesprochen wird (und die Leute alles verstehen was ich sage, aber ich sie nicht)? Genau kann ich das nicht sagen.
Und so bin ich nun in Wien, verwirrt von diesem Mix aus Verständlichkeit und furchtbarer Anstrengung in bekannten Worten einen anderen Sinn zu finden und trotzdem könnten die Umstände für eine Neubesinnung kaum besser sein. Ein Büro voller Frauen, mit den unterschiedlichsten Ansätzen und Hintergründen, aber wohl keine die sich nicht als Feministin bezeichnen würde. Mit großem Interesse an unserer Arbeit bei Amaro Drom und gleichzeitig sehr bereit detaillierte Einblicke in ihre Arbeit und ihr Privatleben zu geben. Sei das beim Kaffe/Frühstück/Zigarette in der Büroküche, beim Mittagessen mit einer ehemaligen Kollegin am Juridicum oder der gemeinsamen Projektarbeit dazwischen (wie machen wir das mit der Abrechnung? welche Sprecher_innen können wir austauschen, was für Ideen gibt es sonst noch?).
Wie sehr würde ich mir mehr von einer solchen entspannten und engagierten Arbeitsatmosphäre auch zuhause wünschen. Das Partnerbüro, in dem ich hier zum Austausch bin, ist von der IG Kultur, die sich als kulturpolitische Interessenvertretung und Beratungsinstanz im Auftrag von Kulturinitiativen verstehen. Sie agieren quasi als Dachverband für größere und kleinere kulturelle Vereine, geben spannende Publikationen (wie z.B. die Risse) heraus und beschäftigen sich mit politischen genauso wie kulturellen Themen aus einer kritisch antirassistischen und (queer)feministischen Perspektive.
Die Person mit der ich schon vor meiner Ankunft hier in Kontakt stand und in deren Stadtwohnung ich untergebracht werden sollte, während sie mit ihrer Familie ins Gartenhaus zieht (klingt das nicht toll? Stadtwohnung und Gartenhaus… das war immer mein Traum…), ist leider in der letzten Woche das Auto kaputt gegangen. So war ich, bis es heute von der Reparatur zurück kam in einem Hotel untergebracht, in dem mir gleich bekannte Gesichter entgegenblickten. Rocko Schamoni, Rhythm King and Her Friends und Robote in Disguise waren auch schon dort und ließen mich gleich in vertrauter Umgebung wähnen. Internet gab es zwar weder im Hotel, noch in der Wohnung, in die ich inzwischen gezogen bin (eigentlich schon, nur grade nicht) aber das ist nicht das schlechteste, um wieder ein bisschen mehr zu mir selbst zu finden und zu beginnen die gerade gefassten Entschlüsse für meine Zukunft in Gange zu bringen.
Ich glaube ich habe schon lange nicht mehr eine Reise so sehr als Zäsur ansehen mögen und auch für mich gebraucht, wie gerade jetzt. Die letzten Wochen waren sicherlich die stressvollsten, an die ich mich erinnern kann. Und das heißt nicht, dass ich viel zu tun hatte, sondern hauptsächlich, dass viel zu viel Verantwortung auf mir lastete und das Wort Überforderung einen ganz neuen Sinn für mich bekam. Ich war nicht von einer Situation oder Aufgabe überfordert, insofern als dass ich nicht wusste wie ich auf etwas reagieren sollte oder konnte, sondern ich war so viel gefordert, dass irgendwann kaum mehr als eine Hülle von mir übrig zu sein schien, die alles gegeben hatte und in der nichts mehr an Kraft vorhanden war.
Das positive an solchen Tiefpunkten ist, dass man das zu schätzen lernt, was einen wieder stark macht; Freunde die für einen da sind, die sauer sind auf die Umstände die zu dem Tiefpunkt geführt haben; neue Menschen denen ich mit einem ganz anderen Respekt gegenübertreten konnte, weil ich ihnen für ihre Unvoreingenommenheit, Freundlichkeit und Akzeptanz einfach so dankbar war und bin und genauso ein Zuhause in dem ich mich gerne aufhalte und wo ich mich wohl und sicher fühle. Auch merkt man in so einer großen Erschöpfung nicht nur wo offensichtlich die eigenen Grenzen liegen, sondern auch die Summe von kleinen Dingen, die einen schon vorher gestört haben, mit denen man unzufrieden war, aber die einzeln betrachtet nicht genug Gewicht hatten, um aus dem Trott der sicheren Gewohnheit auszubrechen.
Auch wenn ich nicht weiß wo ich ankommen möchte, gespannt bin auf Dinge die sich ergeben, die einem plötzlich in den Schoß fallen oder den Weg versperren, so möchte ich doch eigentlich wissen, dass das was ich jeden Tag mache mich zufrieden stellt und vorwärts bringt. Ich fürchte, dass dieses Jahr ein Abstecher war, der mich von meinem eigentlichen Weg abgelenkt hat, aber auf dem ich deswegen nicht weniger viel gelernt habe. Und wenn es nur ist, dass ich an der nächsten Kreuzung wohl eine Richtung von vornherein ausschließen können werde.
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Mittwoch, mein zweiter Tag hier, war so gut, dass ich schon fast wieder Lust hätte was trinken zu gehen und mit dem ganzen alleine sein und reflektieren aufzuhören. Ich war in Linz. Und um ehrlich zu sein, bis ich losgefahren bin und sah, dass der Zug weiter nach München fährt hätte ich geschätzt, dass das eher südlich von Wien sei. So ist das, wenn man keinen Internetzugang hat, Reisen für einen geplant werden und man sich nicht wirklich vorbereiten kann.
Am Bahnhof wurde ich von Stefan abgeholt, der der Obmann (ein neues Wort was ich auf dieser Reise gelernt habe) von der IG Kultur ist und auch noch in allen möglichen anderen Kulturvereinen tätig ist. Außerdem sammelt er gerade seine ersten Erfahrungen in Basisdemokratie, seit er eins von sechs Vorstandsmitgliedern einer Freien Schule in Linz ist. Er hat mir einiges über die (Mis-)Erfolge von Linz als Kulturhauptstadt erzählt und dann sind wir gemeinsam zu Nicole gefahren, die Leiterin des einzigen Sinti und Roma Vereins in Österreich ist. Der Verein heißt “Ketani”, was “miteinander” bedeutet und ich denke mal, dass sich das darauf bezieht, dass dies eben der einzige Verein ist, der mit Sinti und Roma arbeitet, während alle anderen Vereine in Österreich zumindest nur Roma in ihrem Namen haben.
Als wir rein kamen hab ich schon gleich den Blick bemerkt, der sich dann sehr schnell durch die Frage “Aber du bist keine Romni oder Sinteza?” auch verbalisierte. Mein sich in den letzen Wochen angestautes “Nein, bin ich nicht, werde ich nie sein und habe auch selber keine Lust irgendwas zu vertreten, was ich nicht bin.” polterte daraufhin fürchte ich ziemlich emotional aus mir raus.
Aber das war vielleicht auch gar nicht so schlecht, weil damit so ziemlich alle Barrieren gebrochen waren und wir uns stundenlang einfach richtig gut über unsere Arbeit, was wir machen, was wie läuft und was uns ankotzt unterhalten haben. Sehr, sehr erfrischend und befreiend. Nach dem Gespräch und der Einführung in ihre Arbeit – sie machen viel Erinnerungsarbeit, haben legale Plätze für Durchreisende organisiert und helfen genau wie Amaro Drom vielen Menschen beim Papierkram - haben wir dann erst im Café ihres Mannes einen Kaffe getrunken und danach Kaiserschmarren gesessen. Ihr Cousin kam irgendwann dazu, der gerne mal länger nach Berlin kommen würde und dann musste ich mich mehr oder weniger auch schon wieder auf den Weg Richtung Wien machen.
Und war tatsächlich ein bisschen traurig darüber. Aber da sie und ihre Organisation auch beim Romanistan Projekt mitmachen, wegen dem ich ja hier bin, werden wir sicher in Kontakt bleiben und ich kann mich ein wenig freuen, eine tolle, neue, starke und kritische Frau kennengelernt zu haben und hoffe sie bei der ersten Romanistan Konferenz im November wiedersehen zu können.
Die letzten zwei Tage schlugen dann tatsächlich noch eine etwas andere Richtung ein, was noch viel toller war als ich zu hoffen gewagt hätte. Wien ist glaube ich eine der wenigen anderen europäischen Städte, in der ich mir auch vorstellen könnte zu leben. Aber der Reihe nach:
Nach einem relativ langen und effektiven Bürotag am Donnerstag hat mich eine meiner temporären Arbeitskollge_innen mit in die Rosa Lila Villa genommen, wo sie ab und zu noch Lesbenberatung macht und ich, als ich das letzte mal in Wien war, schlief. In der Villa, die bald 30-jähriges Jubiläum feiert, gibt es neben Beratungsangeboten für Lesben und Schwule ein Restaurant/Café und einige WGs. Und das Haus ist tatsächlich rosa und lila. Es gab gute Unterhaltungen über China und Menschen die sich im Ausland unmöglich benehmen, Konferenzen die wir (teilweise beide) besucht haben und leckeren Café, so dass wir uns danach freudig auf den Weg zum Screaming Females Konzert begeben konnten.
Und das war mal verdammt cool! Drei Menschen Anfang zwanzig aus New Jersey die so richtig schön gerockt haben. Und das im klassischen Hardrockstyle. Dem Publikum wurde kaum ein Blick zugewannt, dafür die Gitarre mit so einer Hingabe bespielt, dass wohl jede_r alte Rocker_in in schiere Begeisterung verfallen müsste. Und wenn eine Gitarre vielleicht schon immer als Schwanzverlängerung herhalten musste, schien das noch nie so evident wie auf diesem Konzert. Auf einmal war Hardrock dekonstruiert. Wenn Marissa ihren Mikrofon beim Singen fast ganz in den Mund nahm, dann war das nichts anderes als ein homosexueller Akt. Wenn man dann auch noch den Titel “Screaming Females” in die Betrachtung mit hinein nimmt – nichts an der Band löst irgendeine Assoziation mit schreienden Frauen aus – wird keiner ihrer Einflüsse so deutlich wie der Postmodernismus. Macht richtig viel Spaß!
Freitag gab es dann noch einen tollen sonnigen Stadtrundgang durch Wien und abends noch mal queer ausgehen mit Performance im brut und Bier und Musikaustausch im marea alta. All in all ein sehr spannender Ausflug mit vielen neuen Kontakten, die hoffentlich auch weiter bestehen werden und der Vorfreude im November dort wieder ein Wochenende verbringen zu können!
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